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Nein, 90 Jahre sind es wohl erst im kommenden Jahr. Aber um diese 9 Jahrzehnte gebührend zu beschreiben und zu würdigen, dafür reicht dieser kleine Raum nicht aus. Allein die Sünden und Fehler dieser unser aller lieben Mutter- und Großmutter Gemeinde könnten ein fettes Kapitel ausmachen. Und für eine seriöse und vollständige Geschichtsschreibung könnten leicht 500 Seiten gefüllt werden. Glücklicherweise ist das Filadelfia MBG Archiv spätestens seit Theo Unruhs Zeit gut geordnet und leicht zugänglich für alle, die sich mit guten Absichten schlau machen wollen.

Ich möchte heute auf 9 Aspekte hinweisen, wo diese Ahnen-Mutter aller MB-Gemeinden Paraguays (und darüber hinaus) wegweisend war.

  1. Das neue Verständnis von Gemeindeleitung.

Schon in den ersten Jahren und auf Grund einiger „Studienkonferenzen“ beschloss die MBG Filadelfia, das althergebrachte Ältestensystem, wo die klerikale Verantwortung und Autorität an eine Person gebunden war, abzuschaffen. Für den Taufakt wurde oft ein Diakon oder Mitprediger beauftragt. Bei Trauung und Abendmahl war es ähnlich. Der „Gemeindeleiter“, so hieß das neue Amt, war mehr ein Teamleiter in Gemeinderat und der Predigergruppe. Dieses Model wurde bald von der Mehrheit der mennonitischen Gemeinden übernommen. Die Ablehnung des ein Mann Prinzips steht besser im Einklang mit der biblischen Lehre und der täuferischen Praxis vom „Priestertum aller Gläubigen“.

  1. Die Erneuerung des Kirchengesanges.

Die großen MB-Gemeindechöre unter der 50jährigen Leitung von Bruder Thielmann (Russland eingeschlossen) wurden zur Inspiration für viele. Hinzu kamen die Anfertigung der Harfenklang-Bücher und die erwecklichen MB Gesangbücher aus Nordamerika und Deutschland. Sehr viele dieser Lieder sind in das große und sehr wertvolle neue „Gesangbuch der Mennoniten“ eingeflossen.

  1. Die Konzeptualisierung der Indianermission.

Das frühe Anliegen der Mission, sowie die Anregung zur Gründung des Missionsbundes „Licht den Indianern“, kamen aus der Filadelfia MBG. Auch die spezifische Erkundung der Sprache und Kultur, sowohl der Lenguas als auch der Chulupí, wurden

durch Prediger aus dieser Gemeinde vorangetrieben: G.B. Giesbrecht und Jakob Franz, Gerhard Hein und Dietrich Lepp sind hier die tragenden Säulen gewesen. Die vielwöchige Ochsencarreta Reise von Nikolai Siemens und G. B. Giesbrecht kurz nach dem Chacokrieg bis hin zur „Makchlaveia‚ Mission Inglesa“, sind kennzeichnend für die frühe Opferbereitschaft.

  1. Die Überwindung der Naziideologie.

Nein, die Filadelfia MBG hatte nicht immer und von Anfang an eine so klare und mutige Haltung wie die EMB in dieser Frage. Aber sie hat gerungen, gestritten, sich gespalten, Busse getan, Sünden bekannt und sich versöhnt über dieser Frage. Auch das ist vorbildlich!

Die Förderung der christlich- missionarischen Schul- und Bibelschulbewegung.

Mit Nikolai Siemens, Peter G. Klassen, Waldo Hiebert und C. C. Peters begann die Bibelschulbewegung in Paraguay, die sich vom MBG Gelände in Filadelfia nach Friesland, Asunción (IBA) und Loma Plata hin erstreckte. Die gegenwärtige Theologische Fakultät der UEP, (IBA, CEMTA, STB und SPP) ist ohne jene Vorarbeit fast undenkbar.

Aber auch die Gründung der „Paraguayer Schule“ in Yalve Sanga, das Colegio Alberto Schweizer sowie die Gutenberg Schulen in Asunción und Ost Paraguay, die Schulen in Villa Choferes und Coronel Toledo sind auf diese Gemeinde zurückzuführen.

  1. Die Aussendung von Pioniermissionaren nach Asunción.

Albert Enns, Rudolf und Hilde Plett, Hans und Suse Wiens sowie Hans und Irene Pankratz wurden von der MBG Filadelfia bewusst nach Asunción ausgesandt und gesegnet. Indirekt geschah dasselbe mit Alfred und Wilma Neufeld, sowie Victor und Margitha Wall und neuerdings Theo und Eleanore Unruh, sowie Eldon und Edeltraut August, etc. Oft hat diese Gemeinde auf wertvolle Führungskräfte verzichtet zu Gunsten der Mission.

  1. Die Gründung des Gemeindekommitees und Christlichen Dienstes.

Unvergessen bleibt mir ein Gespräch mit Edgar Stoez, damals MCC Direktor Nordamerika. Er erzählte, wie sie das Gemeindekommite gebastelt hatten, um die gesamte MCC Arbeit in paraguayische Hände zu legen. Als er die Verantwortung dann an G. B. Giesbrecht, MBG Filadelfia Gemeindeleiter übergab, habe dieser gefragt: „Bruder Stoez, was, wenn uns das Packet zu schwer wird? Dann fällt es auf den Boden, Bruder Giesbrecht“, habe er geantwortet.

Bekannt ist auch die Gründung des Christlichen Dienstes (CD) im „Hospital Psiquiátrico“ Asunción, mit dem ersten Freiwilligen Heinrich Bergen, unter Begleitung seines Jugendleiters P. K. Neufeld. Mit Rührung haben mein Papa und Herr Bergen mir oft von diesen ersten Abenteuern erzählt.

  1. Das Ringen um eine ausgewogene Haltung zur Pfingstbewegung.

Die schwere Auseinandersetzung mit der damaligen „Geistesbewegung“ der 70ger Jahre und den „Geschäftsleuten des vollen Evangeliums“ der 80ger Jahre, sowie der „Gemeinde Jesu unterwegs“ sind alle eng mit der MBG Filadelfia verbunden. Mit Sicherheit hat man auch Fehler gemacht. Aber immer stand im Vordergrund: „Prüfet alles, und das Gute behaltet“. Meist ging es um die Sache und nicht um Personen. Daraus ist meines Erachtens eine gesunde und ausgewogene Haltung zu Gemeindeerneuerung und Charismatik entstanden, die heute für die ganze MB-Vereinigung wegweisend ist: Wir können herzliche Gemeinschaft mit diesen Geschwistern haben, ohne uns von ihnen vereinnahmen zu lassen.

  1. Der Schritt zum kirchlichen Bikulturalismus und der Gründung von spanischsprachigen Gottesdiensten und Tochtergemeinden.

In der „Casa Pasajero Arbeit“, der ersten missionarischen Bemühung um Paraguayer auf den Straßen Filadelfias, predigten regelmäßig Hans Pankratz, Harry Unruh und Ernst Eitzen aus der MBG. Auch das „Kröker-Neufeld Quartett“ (Mary, Elsie, Korny, Alfred) war viel im Einsatz, obwohl die Singgruppe aus allen Gemeinden kam. Die Bilder-Evangelisation mit Felipe Saint, angeleitet von Harry Unruh, war für uns damals bahnbrechend, um zu lernen, in spanischer Sprache Filadelfia und Mariscal Estigarribia zu evangelisieren. Als Victor Wall, Ewald Wieler und Alfred Neufeld von einem dreimonatigen Evangelisationspraktikum mit Albert Enns in Ostparaguay zurückkehrten, gründeten sie gemeinsam mit Tito Gutierrez, Benny Göerzen und anderen Anfang 1974 die ersten regulären spanischen Gottesdienste in Filadelfia, aus denen später die Schalom- Gemeinde entstand.

Schluss: In Zeiten von Genderwahn und sexuellen Identitätskrisen, war es wieder unsere MBG Filadelfia, die sich wohl als erste mit der theologischen und pastoralen Problematik der Homosexualität (auch schriftlich) auseinandergesetzt hat. Sie bleibt eine lernende und lehrende Gemeinde.

Alfred Neufeld

Dieser Artikel wurde entnommen aus der März-April Ausgabe der Zeitschrift Gemeinde unter dem Kreuz des Südens (GuKS) welche herausgegeben wird von der Vereinigung der Mennoniten Brüder Gemeinden Paraguays. HIER können sie die ganze Ausgabe lesen.